Maya

In den Religionen Indiens ist Maya (Sanskrit māyā, von mā „nicht“ und yā „dies“) ein Begriff, der drei miteinander verbundene Konzepte bezeichnet: 1) die Macht, die diejenigen, die in ihrem Besitz sind, meist Götter, befähigt, Formen in der physischen Welt zu erzeugen, 2) die durch diesen Prozess erzeugte Realität, 3) die Illusion der phänomenalen Welt separater Objekte. In der frühen vedischen Mythologie war Maya die Kraft, mit der die Götter das physische Universum schufen und aufrechterhielten. Mit dem Aufkommen der philosophischeren Upanishaden und schließlich der Schule des Advaita Vedanta bezeichnete maya die Illusion der weltlichen Sphäre in ihrer Beziehung zu Brahman, der höchsten kosmischen Kraft. Jedes physische Objekt sowie jedes unabhängige Ich-Bewusstsein wird als illusorisch angesehen, wenn es im monistischen Kontext von Brahman betrachtet wird. In vielen Zweigen des Hinduismus muss maya überwunden werden, um die Seele von Reinkarnation und Karma zu befreien. Ähnliche Vorstellungen von Maya gibt es im Buddhismus und im Sikhismus.

Maya im Hinduismus

Veden

Maya wird im Rg Veda eingeführt und bezieht sich auf die Macht, die Devas (göttliche Wesen) besaßen und die es ihnen ermöglichte, verschiedene materielle Formen anzunehmen und Naturphänomene zu schaffen. So bediente sich zum Beispiel Varuna der Maya, um seine himmlischen Aufgaben zu erfüllen:

Dieses große magische Werk (Maya) des berühmten spirituellen Varuna werde ich laut verkünden; von Varuna, der in der mittleren Region steht und die Erde und die Sonne wie mit einem Messstab gemessen hat. Niemand wagt es, dieses große Zauberwerk des weisesten Gottes zu bezweifeln, nämlich dass die vielen glitzernden Ströme, die sich ergießen, nicht einen Ozean mit Wasser füllen (Rg Veda 5:85).

Hier wird Varunas schöpferische Fähigkeit auf die Macht der Maya zurückgeführt, die er sieht und die er benutzt, um alle natürlichen Prozesse präzise und geordnet zu halten. In ähnlichen Passagen wird behauptet, dass die Maya des Kriegergottes Indra das Firmament davor bewahrt, aus seinen Befestigungen am Himmel zu fallen. Rg Veda 5:85 veranschaulicht auch einen spezifischeren Aspekt von maya: seine Bedeutung als List oder Täuschung. Das heißt, maya wird mit der Art von Täuschung und Trickserei in Verbindung gebracht, die ein Magier anwendet, um eine Illusion zu schaffen. So wird zum Beispiel die Fähigkeit der verschiedenen Götter, in wechselnden Formen zu erscheinen, ihrem geschickten Einsatz von Maya zugeschrieben.

Maya ist jedoch nicht auf die Götter beschränkt, denn auch ihre bösen Gegner, die Asuras, haben die Fähigkeit, sich auf Maya zu berufen. Viele von Indras Hauptwidersachern, darunter die berüchtigte Schlange Vrtra, rufen Maya an, um ihre bösartigen Kräfte zu erlangen. Wie zu erwarten war, beinhaltet die Maya der Asura oft die oben erwähnte List. Spätere Schriftstellen in Atharva Veda 8.10.2 und Satapa Brahmana 2.4.2.5 stellen maya als die esoterische Kraft oder das Wissen dar, das die Asuras kennzeichnet. In diesen späteren Versen ist maya die Kraft, die in Weisheit und intellektuellem Streben verwurzelt ist und unabhängig von der Moral existiert, da sie dem menschlichen Wohlergehen sowohl nützen als auch schaden kann. Einige frühe Texte schreiben die Macht der maya auch menschlichen Königen zu, und in einigen Fällen wird die Macht des Opfers als maya bezeichnet.

Upanishaden

Die in den philosophischen Upanishaden dargelegte Auffassung von maya dient als wichtige Übergangsphase zwischen der vedischen Auffassung von maya, die später die hinduistische Philosophie und Mythologie beherrschen sollte. Insbesondere die Svetsara Upanishad konzentriert sich auf die Neuformulierung der älteren vedischen Vorstellungen von maya und stellt sie als das Mittel dar, durch das die phänomenale Welt aus Brahman hervorgeht. Hier wird behauptet, dass der mahesvara (oder „Große Herr“, der in diesem Text als Shiva identifiziert wird) die physische Welt aus dem unaussprechlichen Substrat des Universums, das als Brahman bekannt ist, hervorbringt. Maya ist die Kraft, die die gesamte Realität, wie sie vom menschlichen Bewusstsein wahrgenommen wird, ins Leben ruft. Daher sind alle besonderen Dinge, die in dieser materiellen Welt enthalten sind, Produkte von Maya. Diese Besonderheiten lenken von der Wahrnehmung des reinen, unverfälschten Brahman ab, und deshalb wird Maya als eine negative Entität wahrgenommen. Die Seele selbst (oder atman), die in den Upanishaden als eigenständig göttlich angesehen wird, wird durch die Vielfalt der Formen von maya ebenfalls an der Verwirklichung ihrer wahren Natur gehindert. In der Svetsara Upanishad wird jedoch auch ein Mittel gegen die Verstrickung des atman in maya vorgeschlagen: Durch Meditation über mahesvara kann man die Vereinigung mit ihm erreichen und in sein Wesen eintreten. Dieser Vorschlag hatte erheblichen Einfluss auf spätere philosophische Schulen, insbesondere auf die des Vedanta.

Hinduistische Mythologie

Der spätere hingebungsvolle Hinduismus betrachtete bestimmte Gottheiten als alleinigen Gegenstand seiner Verehrung, vor allem die Götter Shiva und Vishnu. In den Mythologien, die die Geschichte dieser Götter erzählen, werden ihre Handlungen oft als Beispiele für das Wirken von Maya dargestellt. Ein solches Beispiel stammt aus dem Matsya Purana, wo Vishnu dem großen Weisen Narada die Bedeutung von maya als Belohnung für seine Askese veranschaulicht. Die Geschichte gibt einen Einblick in die Philosophie, die der theistischen Hindu-Lehre zugrunde liegt: Die phänomenale Welt ist lediglich eine Emanation göttlicher Energie, die durch maya gefiltert wurde. Vishnu kleidet sich sozusagen einfach in Maya als Gewand, um für die Augen der Sterblichen Gestalt anzunehmen.

Maya wird von theistischen Hindus als unverzichtbarer Teil des weiblichen Aspekts Gottes betrachtet und als seine Shakti, also Energie, bezeichnet. Der weibliche Aspekt von Maya wurde als Mahamaya („große Maya“) personifiziert, eine große Göttin, die für die Erschaffung der physischen Welt verantwortlich ist. Dieser Aspekt von Maya wird auch als die Form der göttlichen Mutter (Devi) visualisiert. Sie lächelt unaufhörlich und hat die Herrschaft über die gesamte physische Realität. Im Wesentlichen verblendet Mahamaya die Menschen in der Täuschung (moha), besitzt aber auch die Macht, uns davon zu befreien. In der Hindu-Schrift „Devi Mahatmyam“ heißt es, dass Mahamaya Vishnus Augen im göttlichen Schlaf (oder Yoganidra) während der Daseinszyklen bedeckt, wenn alles in eins aufgelöst wird. Indem er Mahamaya auffordert, ihren illusorischen Griff auf Vishnu zu lösen, kann Brahma Vishnu dazu bringen, ihm bei der Tötung von zwei Dämonen, Madhu und Kaitabh, zu helfen, die aus Vishnus schlafender Form hervorgegangen sind. In späteren Zeiten wird Mahamaya oft als eine Form von Kali oder Durga angesehen, der Gefährtin Shivas, die über Magie und Zauberei wacht.

Bhagavad Gita

In der Bhagavadgita erklärt Krishna, dass er durch die Macht der Maya in der Lage ist, sich in der physischen Welt zu verankern. Maya hat also einen positiven Aspekt, da sie Vishnus Avatare hervorbringen kann, die der Menschheit durch den Schutz des Dharma zu Hilfe kommen. Die Bhagavadgita bekräftigt jedoch auch die Svetsara Upanishad, wenn sie erklärt, dass maya ein negatives Konzept ist, da ihre Erzeugung der physischen Welt den Menschen die Einsicht in die wahre Natur des Universums vorenthält. Der Text legt nahe, dass diejenigen, die ihr Vertrauen in Krishna setzen, maya transzendieren und die wesentliche Natur Gottes erkennen können. Dieses Rezept für die Erlösung hatte großen Einfluss auf die hingebungsvolle Bhakti-Bewegung, die im mittelalterlichen Indien entstand und bis heute anhält.

Advaita Vedanta

Shankara (788-820 n. Chr.), der Begründer der Advaita Vedanta („nicht-dualistische“) Philosophieschule, führte den in den Upanishaden eingeführten Begriff der maya weiter aus. Für Shankara ist Maya eine Illusion, eine Verschleierung des wahren, einheitlichen Selbst (Atman), das absolut mit Brahman gleichzusetzen ist. Die Gesamtheit des Universums mit Ausnahme der höchsten, unbeschreiblichen Form von Brahman ist also eine von maya geschaffene Illusion. Die wahrgenommenen Unterschiede zwischen Brahman und der individuellen Seele entstehen durch die Wahrnehmung von Besonderheiten in der physischen Welt, die von maya erzeugt werden. Da Brahman eins und unteilbar ist, ist jede Wahrnehmung von Pluralität ein Irrtum.

Shankara identifizierte zwei polare Aspekte, aus denen maya besteht: erstens avidya (Unwissenheit) und zweitens vidya (Wissen). Avidya führt den Menschen weg von Gott und hin zur Gefangenschaft in materiellen Objekten und der egoistischen Behauptung der Individualität. Vidya hingegen führt zur Erkenntnis Gottes und kann durch tugendhafte Spiritualität kultiviert werden. Beide Bereiche sind jedoch relativ, auch die Gotteserkenntnis. Shankara und die Advaitaner behaupteten, dass, wenn sich Maya mit Brahman verbindet, der höchste persönliche Gott, auch bekannt als Ishvara, erscheint. Obwohl dieser persönliche Gott mit Eigenschaften immer noch göttlich ist, behauptete Shankara, dass er im Vergleich zum obersten Brahman ohne Eigenschaften verblasst. Sobald ein Individuum alle Unterscheidungen der illusorischen besonderen Dinge, die von maya geschaffen wurden, einschließlich der Unterscheidung zwischen der Menschheit und Ishvara, ablegt, glaubt Shankara, dass man dann erkennen kann, dass tat tvam asi („Du bist das“ oder „Atman ist Brahman“). Nur dann kann der Einzelne der Maya entkommen und in der Einheit mit Brahman aufgehen.

Andere Ansichten

Andere hinduistische Denkschulen sehen die physische Welt jedoch nicht als eine Illusion (Maya) an. Die von Ramanuja (1017-1137 n. Chr.) begründete Visistadvaita Vedanta („qualifizierter Non-Dualismus“) beispielsweise geht davon aus, dass sowohl die individuellen Seelen als auch die physische Welt real sind, aber vollkommen von Brahman abhängen. Ramanuja betonte die Realität der Welt im Gegensatz zu ihrer illusorischen Qualität. Ramanuja betonte, dass die Seele nur durch die vollständige Hingabe an Ishvara mittels Bhakti befreit werden kann. Viele andere zeitgenössische Hindu-Philosophien nehmen eine ähnliche Haltung gegenüber der Maya-Lehre ein und interpretieren sie typischerweise so, dass sie nicht auf eine direkte Leugnung der Realität der Welt hinausläuft. Vielmehr wird Maya von diesen Philosophen dahingehend interpretiert, dass die Natur der menschlichen Erfahrung letztlich subjektiv ist.

Maya im Buddhismus

Im frühen Buddhismus bezog sich Maya auf die trügerische Natur des Egos und dessen Wahrnehmung der Welt der Erscheinungen und Formen, die ein unerleuchtetes Individuum als einzige Realität akzeptiert. Außerdem wurde maya als ein Merkmal von Samsara (dem Kreislauf von Leiden und Wiedergeburt) angesehen. Im alltäglichen menschlichen Handeln beinhaltet maya das Festhalten an der Vorstellung eines unabhängigen Selbst oder einer Seele sowie die Überzeugung, dass es eine ewige, absolute Schöpferkraft im Universum gibt, die Gott genannt wird.

Als sich der Buddhismus im Laufe der Jahrhunderte weiterentwickelte, änderte sich seine Sicht der samsarischen Welt und mit ihr auch maya. Die mahayana-buddhistische Sicht von maya bezeichnet die Welt nicht als ein völlig bedeutungsloses Reich der kleinlichen Illusion. Der Philosoph Nagarjuna beispielsweise unterschied zwischen zwei Ebenen der Wirklichkeit: erstens paramarthika, dem wahren und endgültigen Reich, und zweitens vyavabarika, der Alltagswelt, in der wir verharren und Erlösung finden müssen. Die Zen-Tradition stellt auch fest, dass es keine Form der Selbsttäuschung ist, die physische Welt als real anzuerkennen; die Täuschung tritt jedoch auf, wenn man annimmt, dass die physische Welt die einzige dauerhafte Realität ist. In dieser Tradition sind Nirvana und die Welt der Maya lediglich intellektuelle Unterscheidungen, die in Wirklichkeit ein und dieselbe Einheit sind. Die Verwirklichung von Nirvana basiert auf der Erkenntnis der unbeständigen Natur der Welt der Formen. Durch die Erkenntnis der einzigartigen Identität von maya und bodhi (oder „Erleuchtung“) kann man den Fesseln der materiellen Welt entkommen.

Es sollte auch erwähnt werden, dass Maya in der buddhistischen Mythologie der Name für Buddhas Mutter ist. Dies bezieht sich zweifellos auf die schöpferische Bedeutung des Begriffs, der Maya als den unendlich fruchtbaren universellen Schoß darstellt, der alle vergänglichen weltlichen Formen gebiert.

Maya im Sikhismus

Im Sikhismus bezieht sich Maya auf die Welt, wie sie normalerweise wahrgenommen wird. Für die Sikhs ist diese Welt nicht mehr als ein Traum. Im Guru Granth Sahib heißt es, dass es in der physischen Welt, wie in einem Traum, nichts gibt, was man wirklich als das Eigene identifizieren kann. Auch wenn sich Träume wirklich greifbar anfühlen, kann der Träumende sie nicht als Träume bestätigen, bis er erwacht. Daher muss der Mensch Gott suchen, um dem Griff der Maya zu entkommen. Auf diese Weise ist die Sikh-Formulierung von maya mit der des Vedanta vergleichbar. Allerdings verurteilen die Sikhs die Welt der maya nicht und stufen sie als unwichtigen Aspekt des Lebens ein. Sowohl „miri“ (die zeitliche Welt) als auch „piri“ (die spirituelle Welt) sind für den Menschen von gleicher Bedeutung. Der Schlüssel zu einem erfüllten Leben liegt nach der Sikh-Lehre darin, das richtige Gleichgewicht zwischen diesen beiden Daseinsbereichen zu wahren.

  • Friedrichs, Kurt. „Maya.“ In The Encyclopedia of Eastern Philosophy and Religion. S. Schumacher and Gert Woerner, (eds.). Boston: Shambhala, 1994. ISBN 0-87773-433-X
  • Goudriaan, Teun. „Maya.“ Encyclopedia of Religion. Mercia Eliade (ed.). New York: MacMillan Publishing, 1987.
  • Knappert, Jan. Indian Mythology. London: Diamond Books, 1995. ISBN 0261666541
  • Yocum, G.E. „Maya.“ In The Perennial Dictionary of World Religions. Keith Crim (ed.). San Francisco: Harper San Francisco, 1989. ISBN 0-06-061613-X

Alle Links abgerufen am 7. September 2018.

  • Understanding the Nature of Illusion (Maya)
  • Maya in Hinduism

Credits

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  • Geschichte der Maya_(Illusion)

Die Geschichte dieses Artikels, seit er in die New World Encyclopedia importiert wurde:

  • Geschichte von „Maya“

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