Moonlight Kritik – ein visuell hinreißendes Porträt der Männlichkeit

Die Kombination aus Kunstfertigkeit und emotionaler Direktheit in diesem Film ist überwältigend. Barry Jenkins schreibt und führt Regie, nachdem er Tarell Alvin McCraney’s unproduziertes Theaterstück In Moonlight Black Boys Look Blue adaptiert hat. Moonlight handelt von einem jungen afroamerikanischen Mann und seinem Erwachsenwerden, das in drei Phasen seines Lebens dargestellt wird, wie die Tafeln eines Triptychons. Der Film ist kraftvoll und großzügig, er lässt einen so vollständig an seinen Gedanken und Gefühlen teilhaben, dass es so ist, als würde man sie intravenös verabreicht bekommen. Es ist die Art von Film, bei der man sich geistig klüger und körperlich leichter fühlt.

Liebe, Sex, Überleben, Mütter und Vaterfiguren sind seine Themen, wobei letzteres durch die ergreifende Abwesenheit der Väter selbst in den Vordergrund gerückt wird. Moonlight erinnerte mich an John Singleton, Terrence Malick und Charles Burnett, aber auch an Edmund Whites A Boy’s Own Story; die Struktur ließ mich sogar an Tolstois Trilogie denken: Kindheit, Knabenalter und Jugend. Es gibt eine Reihe visuell hinreißender Traumsequenzen, epiphanische Aufwallungen, halluzinatorische Nahaufnahmen, üppige Musikschwaden. Jenkins scheut sich nicht, Mozarts „Laudate Dominum“ über einer schwermütigen, wortlosen Szene mit spielenden Kindern anzustimmen.

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Moonlight trailer: Barry Jenkins‘ Oscar-prämiertes Drama – Video

Der Protagonist hört auf den Namen Black: Macho, durchtrainiert, mit Goldzähnen; ein Mann der wenigen Worte. Er wurde aus dem Gefängnis entlassen, um ein neues Leben weit weg von seiner Heimatstadt Miami zu beginnen, und landete schließlich in Atlanta, Georgia, wo er „trappte“, d. h. an Straßenecken dealte. Aber Black hat ein Geheimnis: etwas, das er vor anderen Menschen und vielleicht sogar vor sich selbst verbirgt. Er ist schwul. Wie ist er hierher gekommen?

Jenkins führt uns durch die Szenen seines Lebens: Als Kind wird er Little (Alex Hibbert) genannt, wird immer gehänselt und macht sich Sorgen um seine drogenabhängige Mutter Paula (Naomie Harris). Als Teenager ist er unter seinem Vornamen Chiron bekannt. Jetzt wird er von Ashton Sanders gespielt, und er ist erkennbar derselbe Junge, nur etwas älter, schmächtig, spindeldürr, schlaksig, mit einem wachsamen Schweigen, das ein Symptom und eine Verteidigungsstrategie gegen das bösartige Mobbing ist, das er von Terrel (Patrick Decile) erduldet, einem Typen, der einen bösartigen sechsten Sinn für Chirons wachsende Beziehung zu seinem Klassenkameraden Kevin (gespielt von Jaden Piner als Kind und Jharrel Jerome als Teenager) hat. Infolge von Wut, Selbsthass und Gefängnisaufenthalt nimmt Chiron schließlich zu, lässt sich neue Muskelschichten wachsen und wird in seiner letzten Entwicklungsstufe nicht wiederzuerkennen sein: Er erfindet sich als Black (Trevante Rhodes) neu. Dann erhält er einen Anruf aus seiner Vergangenheit: Kevin (André Holland) ist jetzt selbst aus dem Gefängnis, ein abwesender Vater, der als Koch arbeitet.

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‚It’s all about perception‘: Regisseur und Darsteller über den Oscar-Anwärter Moonlight

Der Erzählbogen wird durch eine wunderbar charismatische Darbietung eines Schauspielers, der nur im ersten Akt auftritt, sowohl eingeleitet als auch zusammengehalten: Es ist Mahershala Ali, der Juan spielt, den Drogenbaron aus Miami mit einer freundlichen, väterlichen Seite, der Little beschützt, wenn er sieht, wie er von anderen Kindern verfolgt wird. Juan lässt Little gelegentlich bei sich wohnen, passt auf ihn auf; er gibt ihm eine Schwimmstunde, die zu einer Art Taufe wird. Juan bietet Essen, Trost, Unterstützung, aber auch Drogen. Er ist ein sehr fragwürdiger Betreuer und ein Vorbild, mit einer unsagbar schmerzhaften und ironischen Beziehung zu Little und seiner Mutter, und Jenkins zeigt, wie Blacks eigenes widersprüchliches Schicksal dem Beispiel folgt, das Juan vor langer Zeit gegeben hat.

Die Besetzung mit drei verschiedenen Schauspielern ist ein sichtbarer Teil des theatralischen Erbes des Films: ein formal stilisierter Effekt, bei dem jede neue Inkarnation ein Ruck ist und der sich offensichtlich von den schrittweisen, fast geologischen Veränderungen unterscheidet, die in Richard Linklaters Echtzeitfilm Boyhood erreicht werden. Aber es ist nicht dazu da, um Sie zu distanzieren. Interessanterweise ist die Leistung von Naomie Harris über die gesamte Laufzeit des Films verteilt, und die Veränderungen in der Erscheinung ihrer Figur sind subtiler und natürlicher: Sie verschlechtert sich durch den Drogenkonsum, erlangt dann aber als ältere Frau eine Art Stabilität und Würde. Es ist eine großartige Leistung.

Moonlight ist bewegend und geheimnisvoll: ein Tanz zur Musik der Zeit, auf seine Art. Aber es zeigt auch, dass die drei Phasen sowohl parallel als auch nacheinander betrachtet werden können: Little/Chiron/Black ist ein Palimpsest von Identitäten. Moonlight ist ein Film über Männlichkeit, deren Wunden und Krisen für alle Sexualitäten gleich sind, die aber durch den Hintergrund von Rasse und Klasse bedingt sind. „Manchmal weine ich so sehr, dass ich in Tropfen umkippen könnte“, gesteht Chiron Kevin, und wie für so viele Männer ist das Erwachsenwerden für ihn die Suche nach Wegen, die Traurigkeit zu kauterisieren, sie mit Wut zu betäuben. Moonlight findet einen Weg, sie in Glück zu verwandeln.

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