Tuberkulin

Hoffnung auf HeilungBearbeiten

Tuberkulin wurde 1890 von dem deutschen Wissenschaftler und Arzt Robert Koch erfunden. Das ursprüngliche Tuberkulin war ein Glyzerinextrakt aus Tuberkelbazillen und wurde als Mittel gegen Tuberkulose entwickelt. Es wurde zunächst als Heilmittel gegen Tuberkulose angesehen und den Patienten in Form einer halbbraunen und durchsichtigen Flüssigkeit, die durch Kulturfiltrate gewonnen wurde, subkutan verabreicht. Die Behandlung führte jedoch nicht zu der erwarteten Verringerung der Todesfälle.

Als die Tuberkulinbehandlung 1890 zum ersten Mal an Patienten verabreicht wurde, wurde bei den meisten Patienten eine Fieberreaktion festgestellt, die zwischen vier und fünf Stunden dauerte. Zu den Symptomen dieser Reaktionen gehörte Fieber, das von Erbrechen, Rigor oder anderen Formen konstitutioneller Symptome begleitet wurde. Nachdem diese Symptome bei den Patienten immer wieder auftraten, stellte Koch fest, dass die zunehmende Dosierung der Behandlung im Laufe der Zeit zu einer schnelleren und wirksameren Heilung der leichten Tuberkulosefälle führte, ebenso wie bei den schwereren Fällen, bei denen das Fortschreiten zwar langsamer, aber immer noch fortschreitend war.

Die britischen Bemühungen, „Dispensaries“ für die Untersuchung, Diagnose und Behandlung armer Bürger einzurichten, erzielten bessere Ergebnisse, da das Protokoll des Edinburgh-Systems die Behandlung der Häuser und aller Kontaktpersonen der Tuberkulosekranken umfasste. So war beispielsweise Dr. Hilda Clarks Dispensary in Street, Somerset, besonders für ihre wirksame Behandlung der weniger schweren Fälle bekannt.

Clemens von Pirquet, ein österreichischer Arzt, entdeckte, dass Patienten, die zuvor eine Injektion mit Pferdeserum oder Pockenimpfstoff erhalten hatten, schneller und heftiger auf eine zweite Injektion reagierten, und er prägte das Wort Allergie, um diese Überempfindlichkeitsreaktion zu beschreiben. Bald darauf entdeckte er, dass die gleiche Art von Reaktion bei Tuberkulose-Infizierten auftrat. Seine Beobachtungen führten zur Entwicklung des Tuberkulin-Hauttests. Personen mit aktiver Tuberkulose waren in der Regel tuberkulinpositiv, aber viele von denen mit disseminierter und schnell fortschreitender Krankheit waren negativ. Dies führte zu dem weit verbreiteten, aber falschen Glauben, dass die Tuberkulinreaktivität ein Indikator für die Immunität gegen Tuberkulose sei.

Wirksamkeit verkündetBearbeiten

Zu Kochs Zeiten starb fast jeder siebte Deutsche an Tuberkulose. Deshalb reagierte die Öffentlichkeit euphorisch auf die Entdeckung des Erregers, denn sie weckte Hoffnungen auf Heilung. Bis dahin war das einzige wirksame Mittel gegen eine Infektionskrankheit das Chinin, das zur Behandlung von Malaria eingesetzt wurde.

Auf dem Zehnten Internationalen Medizinischen Kongress 1890 in Berlin stellte Koch überraschend ein Mittel gegen Tuberkulose vor, das er Tuberkulin nannte. Seine Zusammensetzung verriet er nicht, was nicht ungewöhnlich war, da es damals nicht üblich war, Arzneimittel zu patentieren, wobei Phenazon die einzige Ausnahme bildete. Die Öffentlichkeit vertraute dem berühmten Arzt und reagierte enthusiastisch. Koch wurde mit dem Großkreuz des Roten Adlerordens ausgezeichnet.

Der Sozialhygieniker Alfred Grotjahn beschrieb die Ankunft des Tuberkulins in Greifswald: „Endlich kam auch für Greifswald der große Tag, an dem die Klinik für Innere Medizin die ersten Impfungen mit Tuberkulin durchführen sollte. Er wurde gefeiert wie eine Grundsteinlegung oder die Enthüllung eines Denkmals. Ärzte, Schwestern und Patienten in schneeweißer Kleidung, der Direktor im schwarzen Gehrock, vor dem Hintergrund der Lorbeerbäume: Festrede des Internisten, Durchführung der Impfung an ausgewählten Patienten, donnernder Jubel für Robert Koch!“

Koch versuchte, von seiner Entdeckung zu profitieren, was ihm zum Vorwurf gemacht wurde, weil er an einer öffentlichen Einrichtung mit öffentlichen Geldern geforscht hatte. Er verlangte vom Kultusministerium die Finanzierung eines Instituts, das ausschließlich der Tuberkulinherstellung dienen sollte, und schätzte den jährlichen Gewinn auf 4,5 Millionen Mark. Koch deutete auch an, dass er Angebote aus den USA erhalten hatte.

Zu dieser Zeit gab es noch keine Vorschriften für die Prüfung von Medikamenten. Koch hatte nach eigenen Angaben Tuberkulin an Tieren getestet, konnte aber die Meerschweinchen, die angeblich geheilt worden waren, nicht herstellen. Die Tatsache, dass Menschen auf das Tuberkulin dramatischer reagierten als seine Versuchstiere, indem sie Fieber, Gelenkschmerzen und Übelkeit bekamen, schien ihn nicht zu beunruhigen. Neben anderen Versuchspersonen testete er das Tuberkulin auch an Hedwig Freiberg (seiner Geliebten und späteren Frau), die damals 16 Jahre alt war. Sie berichtet in ihren Memoiren, Koch habe ihr gesagt, dass sie „möglicherweise ziemlich krank werden“ könne, aber dass sie „wahrscheinlich nicht sterben werde“.

Unwirksamkeit als HeilmittelBearbeiten

Im Februar 1891 wurde ein medizinischer Versuch an 1769 Patienten durchgeführt, denen Tuberkulin verabreicht wurde, und das Urteil über die Behandlung wurde offensichtlich klar, dass es sich nicht um eine echte Heilung handelte. Das Tuberkulin bot keinerlei Schutz, denn nur 1 % der Versuchspersonen wurde geheilt, bei 34 % der Personen trat nur eine geringfügige Besserung ein, 55 % der Patienten zeigten keine oder nur geringe Veränderungen ihres Gesundheitszustands, und 4 % waren an der Wirkungslosigkeit der Behandlung verstorben

Nachdem das Tuberkulin auf dem Markt war, erschienen in Fachzeitschriften und in den öffentlichen Medien Artikel, die über erfolgreiche Behandlungen berichteten, doch dann folgten die ersten Berichte über Todesfälle. Die Negativmeldungen wurden zunächst nicht beunruhigt zur Kenntnis genommen, schließlich experimentierten die Ärzte mit schwerkranken Patienten.

Nach der Obduktion der Leichen wies Rudolf Virchow nach, dass das Tuberkulin die Bakterien nicht nur nicht abtötete, sondern sogar latent vorhandene Bakterien aktivierte.

Als Robert Koch gezwungen wurde, die Zusammensetzung seines „Geheimmittels“ preiszugeben, stellte sich heraus, dass er selbst nicht genau wusste, was es enthielt. Bevor das Tuberkulin an die Öffentlichkeit gelangte, hatte Koch das Mittel zunächst an sich selbst getestet, um seine Toxizität für den menschlichen Körper festzustellen, was heute kein verlässliches und akzeptables Verfahren mehr ist, um die Unbedenklichkeit von Medikamenten für den menschlichen Körper zu bestimmen. Es handelte sich um einen Extrakt aus Tuberkuloseerregern in Glycerin, und auch die Anwesenheit der toten Erreger selbst konnte bestätigt werden.

Koch bat den preußischen Kultusminister um Freistellung und ging nach Ägypten, was als Versuch interpretiert wurde, der deutschen Öffentlichkeit zu entkommen. Im Mai 1891 kam es zu einer heftigen Debatte im preußischen Landtag. Koch blieb von dem Wert seiner Kur überzeugt. 1897 stellte er eine abgewandelte Form des Tuberkulins vor, die auch als Therapeutikum unbrauchbar war. Diese Präsentation und zahlreiche andere Indizien legen nahe, dass er keinen „Tuberkulin-Betrug“ (ein gängiger Vorwurf) begehen wollte, sondern sich selbst etwas vorgemacht hatte.

Historische Perspektive und Vermächtnis

Der Medizinhistoriker Christoph Gradmann hat Kochs Vorstellungen von der Funktion des Tuberkulins rekonstruiert: Das Medikament töte nicht die Bakterien ab, sondern löse eine Nekrose des Tuberkulosegewebes aus und „hungere“ so den Tuberkuloseerreger aus. Diese Vorstellung stand damals wie heute außerhalb der üblichen medizinischen Theorien.

Der Tuberkulin-Skandal wurde als abschreckendes Beispiel für die Testmedizin verstanden. Der Einführung des Diphtherie-Antitoxins von Emil von Behring im Jahr 1893 waren langwierige klinische Tests vorausgegangen, und das Serum wurde nur langsam in die Praxis eingeführt, begleitet von einer kritischen Diskussion unter Fachleuten. Auch Paul Ehrlich ging 1909 bei der Einführung des ersten synthetisch hergestellten Chemotherapeutikums Salvarsan als Heilmittel gegen die Infektionskrankheit Syphilis auffällig vorsichtig vor.

Im Jahr 1907 entwickelte Clemens von Pirquet das Tuberkulin als Testmittel zur Diagnose der Tuberkulose weiter, doch war dies eine eigene Leistung, unabhängig von den Ideen Robert Kochs. Die Firma Meister Lucius & Brüning AG (später Hoechst AG) in Frankfurt/Höchst kaufte die großen Restbestände an Tuberkulin auf und nahm später unter der Leitung des Koch-Schülers Arnold Libbertz die Produktion auf.

Als Koch das Testverfahren für Tuberkulose entdeckte und freigab, war noch nicht abzusehen, welche Verbreitung diese Art von Diagnosetest finden würde. Mit den verschiedenen klinischen Versuchen und den Beobachtungen, die durch die unterschiedlichen Reaktionen auf Tuberkulin bei Patienten mit und ohne Tuberkulose gemacht wurden, entstanden neue Methoden, die dem Rückgrat dieser Behandlung entsprachen. Die fortgesetzte Anwendung neuer Methoden, die systemische Symptome, die durch eine lokale Reaktion an der Injektionsstelle verursacht wurden, weiter eliminierten, ermöglichte weitere medizinische Fortschritte. Dazu gehörten der Pirquet-Hauttest, der Moro-Perkutantest, der Mantoux-Intrakutantest und der Calmette-Konjunktivaltest.

Durch die vielen Erfahrungen, die der Tuberkulin-Hauttest während des größten Teils des letzten Jahrhunderts mit sich brachte, wurden die heutigen medizinischen Erkenntnisse und Fortschritte durch Robert Koch ermöglicht. Trotz der Misserfolge und Erfolge des Tuberkulins weiß man heute mehr als je zuvor über die Ursachen, Symptome und Vorbeugungsmaßnahmen der Tuberkulose. Darüber hinaus ebnete die Entdeckung des Tuberkulin-Hauttests der Welt den Weg zum Verständnis vieler anderer mykobakterieller Infektionen sowie bestimmter Pilzinfektionen. In Verbindung damit wurden mit der Ausweitung des Hauttests auch tiefgreifendere Forschungen und Entdeckungen über das Immunsystem von Menschen und Tieren gemacht. Erst mit der Entdeckung des Tuberkulin-Hauttests wurde ein tieferes Verständnis der diagnostischen Tests entwickelt. Obwohl sich der Tuberkulin-Hauttest selbst nicht als Erfolg bei der Behandlung von Tuberkulosepatienten erwiesen hat, haben das Rückgrat und die Forschung, die in den Test eingeflossen sind, die Medizin in vielerlei Hinsicht vorangebracht und sich für den Fortschritt in der Medizin insgesamt als wichtig erwiesen.

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